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Warschauer Aufstand 1944 - Die Innenhöfe verwandelten sich in Gräberfelder



Mit dem Warschauer Aufstand wollten die Polen ihre Unabhängigkeit zurückgewinnen. Es ist ihnen nicht gelungen und der Preis war sehr hoch. Sie retteten damit immerhin ihre Ehre. Spaziergang mit dem AK-Veteranen Olgierd Budrewicz durch das Aufstandsquartier Zoliborz. 

 

Fot. Wikipedia.pl


Paul Flückiger, Warschau (2004)

Das alte Kesselhaus steht heute inmitten eines ruhigen Wohnbezirks im Stadtteil Zoliborz. Hier in der Suzina-Strasse hat am 1. August 1944 der Warschauer Aufstand frühzeitig begonnen. Eine Nachschubstruppe der polnischen Untergrundarmee AK traf beim Waffenschmuggel auf eine Nazi-Patrouille. Erste Schüsse fielen, die Deutschen forderten eilends Verstärkung an. „Das war ein unglücklicher Aufstandsbeginn“, ärgert sich Olgierd Budrewicz (Pseudonym „Konrad“) noch heute. „Danach begann es zu regnen und unsere Stimmung war im Keller“. Wie viele seiner Altersgenossen wartete er wenige hundert Meter entfernt in einer der konspirativen Wohnungen gespannt auf die so genannte „Stunde W“, den Befehl des AK-Oberkommandierenden Tadeusz Komorowski zum Aufstandsbeginn. 

In Anbetracht der sich nähernden Roten Armee erhoben sich in Warschau Anfang August 1944 rund 20000 Untergrundsoldaten der AK gegen die deutschen Besatzer. Der polnische Untergrundstaat hatte sich seit 1940 auf diese Stunde vorbereitet. Man wollte die Sowjets als Herrscher über Warschau empfangen. Der Aufstand (nicht zu verwechseln mit dem Ghettoaufstand vom April 1943) dauerte 63 Tage und forderte rund 200000 Opfer auf polnischer Seite – vor allem Zivilisten. Warschau wurde danach von der Wehrmacht in Schutt und Asche gelegt.

„Das war kein Kampf von Mann zu Mann; die Deutschen haben in den Spitälern wahllos Verwundete niedergemetzelt“, ereifert sich Budrewicz, der wenn es sein muss, fliessend deutsch spricht. Am Wilson-Platz in Zoliborz befand sich in den ersten Augusttagen Budrewiczs Barrikade. Heute wird hier eine neue Metrostation gebaut; vor 60 Jahren wurde Mobiliar aufgeschichtet, um eine der wichtigsten Zufahrtstrassen zu blockieren. „Die Quartierbewohner verhielten sie grossartig“, erinnert sich der 80-jährige Veteran.
Nach dem Zwischenfall beim Kesselhaus hätte sich das Quartierkommando in den nahen Kampinos-Urwald zurückgezogen, erzählt der damalige AK-Unterleutnant. Zurück blieben etwa 50 jugendliche Kämpfer. Budrewicz führt in den Innenhof der Vorkriegsmietskaserne <Felix>. „Hier habe ich meine Truppe aufgestellt – wir waren sieben“, sagt er und erzählt mit fester Stimme, wie am 2. August Panzer angerückt seien und ihre Kanonen auf das von der AK besetzte Wohnhaus gerichtet hätten. 

Der deutsche Kommandant sei so „unvorsichtig“ gewesen, die Luke zu öffnen. „Unser Scharfschütze hat ihn erschossen“, sagt Budrewicz emotionslos. „Dem Quartierkommando haben wir ein paar Tage später einen freien Stadtteil übergeben“, erklärt er stolz. Danach verloren die Aufständischen immer mehr Boden. Die Innenhöfe hätten sich in Gräberfelder verwandelt, wird Budrewicz nachdenklich. Der Sinn des Aufstandes wird heute von vielen jüngeren polnischen Historikern, etwa dem Zeitgeschichtler Wlodzimierz Borodziej, verneint. 

„Hätten wir uns nicht erhoben, so wäre Polen eine Sowjetrepublik geworden“, hält Budrewicz entgegen. Solidarnosc sei nur die Fortführung derselben patriotischen Ziele mit anderen Mitteln gewesen, erklärt der Veteran, der seinen Stadtteil Zoliborz nur einmal – nach der Kapitulation nach 60 Tagen – für länger verlassen hat. 

Dieser Text ist im August 2004 in der NZZ am Sonntag erschienen.

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