Moskau lässt an der Grenze offenbar Truppen aufmarschieren
In der Ostukraine kommt es wieder verstärkt zu Kampfhandlungen zwischen den prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee. Am Freitag meldete Kiew einen verletzten Soldaten im Donbass. DAN, die amtliche Nachrichtenagentur der «Volksrepublik Donezk», wiederum klagte über den Beschuss von vier westlichen Aussenbezirken von Donezk in der Gegend des bereits seit 2014 völlig zerstörten Flughafens der Stadt. Dafür seien ukrainische Regierungstruppen verantwortlich.
Laut den täglichen Berichten der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kommt es jede Nacht auf beiden Seiten der rund 400 Kilometer langen Kontaktlinie seit ein paar Wochen zu mehreren Dutzend Waffenstillstandsverletzungen. Das ist wesentlich mehr als noch vor ein paar Wochen.
Kiew beschuldigt die Russen
Die beiden Konfliktparteien hatten sich im Juli 2020 bei Verhandlungen in der weissrussischen Hauptstadt Minsk auf einen zeitlich unbefristeten Waffenstillstand geeinigt. Dieser hielt im Unterschied zu vielen vorher getroffenen Vereinbarungen über ein halbes Jahr lang. Anstelle der Artillerieduelle zuvor kam es nur noch vereinzelt zu Feuerwechseln, meist mit Kalaschnikows und anderen Infanteriewaffen. Seit Neujahr aber hat sich die Sicherheitslage an der Minsker Waffenstillstandslinie laut dem ukrainischen Staatspräsidenten Wolodimir Selenski um «ein paar Dutzend Mal verschlechtert». Verantwortlich dafür macht Kiew die reguläre Russische Armee, die die Separatistenverbände unterstütze.
Laut Kiewer Angaben sind deshalb in den ersten drei Monaten des Jahres 20 tote und 57 verletzte Armeeangehörige zu beklagen. Die «Volksarmeen» von Donezk und Luhansk haben bisher keine Angaben über ihre Verluste im laufenden Jahr gemacht. Vor Wochenfrist wurden gleich vier ukrainische Soldaten durch separatistisches Artilleriefeuer auf den Weiler Schumi unweit der Kontaktlinie mitten im Donbasser Bergbaugebiet getötet. Solch hohen Verluste gab es letztmals vor Jahresfrist.
Sowohl Kiew wie Moskau machen sich gegenseitig für das Aufflammen der Kämpfe im Donbass verantwortlich. Laut dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin ist der Grund für die neuen Spannungen die Weigerung Kiews, mit den pro-russischen Separatisten direkte Verhandlungen aufzunehmen. Das kann man als Drohung des Kremls an Kiew verstehen, die beiden selbst ernannten pro-russischen «Volksrepubliken» in Donezk und Luhansk anzuerkennen, da andernfalls im Donbass ein neuer, von Moskau angeheizter Krieg ausbrechen könnte. Gleichzeitig bezichtigte die «Aussenministerin» der «Volksrepublik Donezek», Natalia Nikoronowa, den ukrainischen Verhandlungsführer, den vormaligen Präsidenten Leonid Krawtschuk, der Obstruktionspolitik.
Biden ruft Selenski an
Die USA haben der Ukraine ihre Unterstützung zugesagt und die in Europa stationierten Truppen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Washington reagiert damit auf Geheimdienstberichte, wonach Russland Truppen an der von Kiew nicht mehr kontrollierten ukrainisch-russischen Staatsgrenze im Donbass und auf der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zusammenzieht.
Am Freitag sprach Präsident Biden erstmals mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski. Er sicherte ihm volle Unterstützung zu für die «Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine angesichts der russischen Aggression.» Die beiden Präsidenten, so heisst es, hätten sich auch darüber unterhalten, wie wichtig der verstärkte Kampf gegen die Korruption in der Ukraine sei.
Paul Flückiger
WarschauFot. Wikipedia.org
* Dieser Text ist Anfang April in der NZZ erschienen.
Mehr:
Die ukrainischen Häfen im Asowschen Meer stecken im russischen Würgegriff fest
Die ukrainischen Häfen im Asowschen Meer stecken im russischen Würgegriff fest
Kommentare
Kommentar veröffentlichen