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Goldrausch in Niederschlesien


In einem Stollen soll ein 1945 verschwundener Zug mit wertvoller Ladung liegen. Nach dem angeblichen Fund eines verschollenen Goldzuges der Nationalsozialisten in Niederschlesien warnt die polnische Regierung vor eigenmächtiger Schatzsuche. Der Zug könnte vermint sein. 






Fot. Shutterstock

Paul Flückiger
«Ich bin zu 99 Prozent sicher, dass dieser Zug existiert», sagt Piotr Zuchowski, Polens oberster Denkmalschützer. Er habe klare Aufnahmen eines Georadars gesehen. Wer sich mit Waffen und dem Zweiten Weltkrieg auskenne, könne klar erkennen, dass hier kein gewöhnlicher Zug unter der Erde liege, sagte Zuchowski am Freitagmittag. Der Zug, der Schatzsucher aus aller Welt elektrisiert, soll sich laut einem Bericht von Radio Wroclaw an der Bahnstrecke von Wroclaw nach Walbrzych (deutsch: Waldenburg) zwischen Kilometer 61 und 65 Dutzende Meter tief unter der Erde befinden. Was er enthält, ist unklar.
Legende vom Nazi-Zug
Doch die Legende von mindestens einem Nazi-Goldzug, der Anfang 1945 auf der Flucht vor der Roten Armee aus Breslau vom Erdboden verschwunden sein soll, hat Schatzsucher im In- und Ausland auf den Plan gerufen. Vor Wochenfrist hatte eine Breslauer Anwaltskanzlei im Namen zweier Schatzsucher bei den Lokalbehörden in Walbrzych zehn Prozent des Fundes gefordert. In der Folge gaben die beiden - ausgerechnet ein Pole und ein Deutscher - den Behörden die genauen Koordinaten ihrer Fundstelle bekannt. Laut polnischem Recht gehört der ganze Schatz, falls es sich denn um einen solchen handelt, dem Staat. Die Beteiligungsforderung hat jedoch die Goldgräberstimmung weiter angeheizt. 

Denkmalschützer Zuchowski hat inzwischen Nachahmer gewarnt. In dem Zug befänden sich bestimmt gefährliche Stoffe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, sagte er in Warschau. Das Versteck des Zuges habe ein Direktbeteiligter auf dem Sterbebett genannt, gab Zuchowski an. Der Lokalsender Radio Wroclaw berichtete inzwischen, höchstwahrscheinlich sei der Nazi-Zug vermint. Die Waldenburger Behörden hätten deswegen die Armee um Hilfe bei der Hebung gebeten.

Der Vizebürgermeister von Walbrzych, Zygmunt Nowaczyk, hatte am Mittwoch einen grossen Fund im Stadtgebiet erstmals offiziell bestätigt, allerdings ohne das Wort «Goldzug» in den Mund zu nehmen. Die beiden angeblichen Finder, über deren Identität weiter nichts bekannt ist, wollen einzig eine 120 bis 150 Meter lange, vermutlich gepanzerte Zugskomposition mehrere Dutzend Meter unter der Erde geortet haben. Deren Hebung könnte laut Experten Monate beanspruchen. Dass sich der Schatz direkt an der Bahnlinie von Wroclaw nach Waldenburg befindet, ist indes kaum anzunehmen.
Codenamen «Riese»
Auf dem Stadtgebiet von Walbrzych gibt es eine ganze Reihe unterirdischer Stollen. Sie wurden 1943 vom Naziregime angelegt. Unter dem Codenamen «Riese» sollten unterirdische Waffenfabriken angelegt werden, die vor einem möglichen Bombardement der Alliierten geschützt gewesen wären. Laut polnischen Schätzungen ist erst ein Drittel dieses Tunnelsystems erforscht. Ein ganz kleiner Teil davon ist in Walbrzych gar für Touristen zugänglich. Seit Jahren lockt diese Unterwelt jedoch vor allem Schatzsucher an.

In Polen herrscht derzeit die Vermutung vor, dass es sich bei dem Fund tatsächlich um einen Panzerzug handelt. In diesem sollen Ende Januar 1945 mindestens 50 Metallkisten von Breslau abtransportiert worden sein, die zuvor unter den Bewohnern Niederschlesiens eingesammelt worden sein und im dortigen Polizeihauptquartier deponierte Wertgegenstände enthalten haben sollen - darunter wohl sicherlich auch Gold. Der angeblich aus zwölf Waggons bestehende Zug ist am Hauptbahnhof des heutigen Walbrzych aber erwiesenermassen nie angekommen.

Dieser Text ist im August 2015 in der NZZ erschienen.

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