Jeder vierte Pole begibt sich
pro Jahr auf eine Reise zum Lobe Gottes. Die Polen lieben die Pilgerfahrt. Jedes Jahr sind 10 Millionen unterwegs, ob katholisch oder
orthodox. Höhepunkt der Frömmigkeit ist Mitte August.
Fot. M. Graczyk
Von Paul Flückiger, Koszalin (2003)
Die polnische Pilgersaison hat am Wochenende in Tschenstochau (Czestochowa), ihren Höhepunkt erreicht. Um die 200 000 Gläubige haben laut
Angaben des polnischen Staatsfernsehens in dem berühmten Marien-Sanktuarium
«Jasna Gora» an den Feierlichkeiten zu Mariä Himmelfahrt teilgenommen. Rund 4,5
Millionen Polen besuchten 2002 Tschenstochau, um dort vor der als besonders
wundertätig geltenden Statue der schwarzen Madonna zu beten. Nur Lourdes kann
sich rühmen, mehr Pilger zu beherbergen.
Zehn Millionen Polen machen sich pro Jahr in eines der 700 Marien-Sanktuarien des Landes auf, eine Million geht zu Fuss. Manche besuchen eine der katholischen Kultstätten, wie das Grab des von den Kommunisten in den achtziger Jahren ermordeten oppositionellen Priesters Jerzy Popieluszko in Warschau. Jeder vierte Pole pilgert im eigenen Land, weitere 0,2 bis 1,5 Millionen Bürger gehen auf Pilgerfahrt ins Ausland. Damit ist jeder fünfte Pilger in Europa ein Pole.
Zehn Millionen Polen machen sich pro Jahr in eines der 700 Marien-Sanktuarien des Landes auf, eine Million geht zu Fuss. Manche besuchen eine der katholischen Kultstätten, wie das Grab des von den Kommunisten in den achtziger Jahren ermordeten oppositionellen Priesters Jerzy Popieluszko in Warschau. Jeder vierte Pole pilgert im eigenen Land, weitere 0,2 bis 1,5 Millionen Bürger gehen auf Pilgerfahrt ins Ausland. Damit ist jeder fünfte Pilger in Europa ein Pole.
Blasen aufstechen
Im August marschieren nicht nur die Katholiken, auch die rund 600 000
polnischen Orthodoxen haben ihre eigenen Pilgerfahrten. So werden rund
50 000 orthodoxe Pilger kommende Woche in dem ostpolnischen Dorf Grabarka
erwartet. «Während die Zahl der Kirchenbesucher kontinuierlich sinkt, hat die
Zahl der Pilger in den letzten Jahren zugenommen», sagt Ewa Czacz- kowska,
Lektorin an der Theologischen Universität Warschau. Das Phänomen erklärt sich
die Kirchen-Expertin mit den Jugendlichen, von denen vielen die traditionellen
Messen alleine nicht mehr genügen würden; sie suchten das
Gemeinschaftserlebnis, erklärt Czaczkowska. Waren in den sechziger Jahren die
Mehrheit der Pilger Kleinstädter oder Dorfbewohner über 45 Jahre, so sind heute
mehr als die Hälfte Jugendliche.
Die grösste Wallfahrt für Jugendliche wurde dieses Jahr von der
Studentengemeinde in Krakau organisiert. 8000 Studierende legten in sechs Tagen
die 150 Kilometer bis nach Tschenstochau zurück. Als wesentlich härter gilt die
Wallfahrt der Warschauer Akademiker, die zehn Tage dauert. «Die ist eine
logistische Meisterleistung», sagt die polnische Filmemacherin Dorota
Szuszkiewicz, die darüber gerade ein sechsteiliges Epos für das Fernsehen
gedreht hat. Bereits im Januar werden etwa die 18 000 Schmerztabletten
eingekauft und gelagert, die die 5000 Studierenden während ihres
300-Kilometer-Marsches benötigen. Pro Pilgerfuss müssen im Durchschnitt drei
Blasen aufgestochen werden. Dass man bei solch einem Kraftakt nicht nur viel
singt und betet, sondern sich auch gut näher kommen kann, bestätigen selbst
jene, die aus rein religiösen Gründen teilnehmen.
Hania Stachowiak lernte ihren Pawel in den politisch schwierigen achtziger Jahren kennen, als die junge Medizinstudentin dem Geisteswissenschafter die Füsse verbinden musste. Ein Jahr später waren sie ein kirchlich getrautes Paar. «Koedukatives Schlafen ist nicht erlaubt», wird allerdings auf dem Instruktionsblatt des Paulinerordens, der die Warschauer Akademiker-Wallfahrt organisiert, insistiert. Auch sonst müssen sich die Pilger einer strengen Disziplin fügen. Jeder müsse einen Regenschutz, Rosenkranz und Gebetbuch mitbringen, die Teilnehmer seien mit «Bruder» und «Schwester» anzusprechen, der Genuss von Alkohol und Zigaretten sei strikte untersagt, heisst es.
Hania Stachowiak lernte ihren Pawel in den politisch schwierigen achtziger Jahren kennen, als die junge Medizinstudentin dem Geisteswissenschafter die Füsse verbinden musste. Ein Jahr später waren sie ein kirchlich getrautes Paar. «Koedukatives Schlafen ist nicht erlaubt», wird allerdings auf dem Instruktionsblatt des Paulinerordens, der die Warschauer Akademiker-Wallfahrt organisiert, insistiert. Auch sonst müssen sich die Pilger einer strengen Disziplin fügen. Jeder müsse einen Regenschutz, Rosenkranz und Gebetbuch mitbringen, die Teilnehmer seien mit «Bruder» und «Schwester» anzusprechen, der Genuss von Alkohol und Zigaretten sei strikte untersagt, heisst es.
Gute Geschäfte
Als unvergessliches Erlebnis menschlicher Solidarität beschreibt Lektorin
Czaczkowska ihre Akademiker-Wallfahrt. Sie habe danach ein halbes Jahr lang
ihre Füsse verarzten müssen, und dennoch hätte sie diese Art von Urlaub kein
einziges Mal bereut. «Wer diese Strapazen auf sich nimmt, tut es aus religiöser
Überzeugung», sagt Czaczkowska. Die meisten trügen ein persönliches Anliegen
mit sich, das sie auf diese Weise Gott vortragen wollten. Eine Wallfahrt gebe
aber auch die Möglichkeit, einfach einmal alles hinter sich zu lassen und in
eine vollkommen andere Welt einzutreten, sagt die Religionslehrerin.
Als «Liebesbeweis für Jesus Christus» bezeichnete der Kardinal Franciszek
Macharski die Krakauer Pilgerwanderung nach Czestochowa. Der Liebesbeweis hat
auch handfeste wirtschaftliche Hintergründe. In Czestochowa boomt der
Souvenir-Markt. Hunderte von Busunternehmen haben sich auf Pilgerfahrten
spezialisiert. Achtzig Prozent der Pfarrer organisieren mindestens einmal im
Jahr eine Reise zur schwarzen Madonna. Auch eine Fahrt nach Rom - möglichst mit
Papst-Audienz - steht auf dem Wunschzettel. «Für viele Pilger ist dies die
einzige Auslandreise in ihrem Leben», sagt der Chef des Warschauer
Busunternehmens Ventours.
Dieser Text ist in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag erschienen.
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