Direkt zum Hauptbereich

Rumäniens Wälder werden zum Spielball einer kartellorientierten Politik

Holzklau und Rodungen am Rande der Legalität bedrohen Ökosystem und lokale Gemeinden. In Südrumänien hat bereits die Verwüstung eingesetzt. Die lückenhafte Umsetzung des Forstgesetzes sowie Korruption und niedrige Löhne drohen Rumänien seines Waldreichtums zu berauben. Die halb- und illegalen Waldrodungen zeigen vor den Parlamentswahlen Grundprobleme des EU-Staates auf.

Paul Flückiger, Tirgu Mures (2012)

Mihaly Bartha steht vor einen frischen Baumstumpf und wettert gegen die Geldsucht des Forstamtes. Ohne Konsultation mit den Einwohnern sollte hier der alte Mischwald radikal abgeholzt und durch Eichen ersetzte werden, sagt der bärtige Bürgermeister von Panet, einem mehrheitlich von Ungarn bewohnten Dorf 13 Kilometer südlich von Tirgu Mures (Neumarkt am Mieresch, ungarisch: Marosvasarhely) mitten in Transsilvanien. „Früher hat der Wald uns gehört, doch die Kommunisten haben ihn enteignet, und nach der Wende ging er einfach in Staatsbesitz über“, klagt Bartha, der Mitte November 150 Dorfbewohner als lebendige Schilde vor die Motorsägen organisiert hatte. Nun gilt bis Anfang 2013 ein Moratorium.

Tudor Herlea, der Oberste Forstamtschef des Landkreises Tirgu Mures, versteht die ganze Aufregung nicht. Alle Papiere seien in Ordnung, der Managementplan sehe vor, bis 2017 91 Prozent des Waldes von Panet abzuholzen. „Der Wald ist in einem sehr schlechten Zustand; dennoch habe ich entschieden, dass wir nur die Hälfte der Bäume fällen“, sagt er in seinem warmen Büro unten in der Gebietshauptstadt.

Rund ein drittel der Fläche Rumänien ist bewaldet. Zwei Drittel davon entfallen auf den transsilvanischen Karpatenbogen, wo auch der grösste zusammenhängende Primärwald Europas erhalten ist. Ein Teil davon ist geschützt. Forstfachleute jedoch kritisieren, dass auch der Nutzwald mangels Infrastruktur nur punktuell bewirtschaftet wird und es oft zu einer Übernutzung von bis zu 200 Prozent kommt. Erosion, Überschwemmungen und vor allem im Süden des Landes bereits Verwüstungserscheinungen sind die Folge.

Doch bereits Hundert Kilometer östlich von Panet, im Landkreis Harghita sind die Folgen des Raubbaus unübersehbar. Auf der Ostseite des Bucin-Berzont Gebirgspasses sind die meisten Hügel rund um das Dorf Joseni kahl. Eine frische, mehrere Hundert Meter breite Schneise zieht sich einen noch bewaldeten Bergkamm hoch. Vor zwei Jahren wurde hier im Kerngebiet der so genannten „Holzmafia“ der Vizebürgermeister ermordet. Die einen kolportieren Gerüchte von einem Liebesdrama, andere sehen Geschäfte mit dem Wald im Hintergrund. Im Nachbardorf Remeatea findet sich indes niemand, der über die Gründe für den Kahlschlag sprechen will. Jeder könne leicht erkennen, wer sich schnell bereichert habe, doch Namen nenne er keine, sagt ein gewisser Karoly, ein Ungar, wie die meisten Bewohner in dieser Gegend. Als ein Forsttechniker vor sechs Jahren seinen Chef des Holzdiebstahls bezichtigte, verlor er sofort die Stelle.

Weniger der weit verbreitete, doch insgesamt kleine Diebstahl als die mangelhafte Umsetzung des Forstgesetzes sei das Hauptproblem erklärt WWF-Direktor Csisbi Magor in der fernen Hauptstadt Bukarest. Die jährlich erlaubte Holzschlagmenge würde für jedes Waldstück errechnet, selbst ein Computersystem sei geschaffen worden, mit dessen Hilfe man jeden gefällten Baum bis zum Endprodukt verfolgen könne. „Aber was nützt es, wenn Gewinninteressen und Korruption die Umsetzung verhindern?“, verwirft Magor die Hände. Nicht nur im Forstwesen hält Rumänien zusammen mit dem Nachbarland Bulgarien EU-weit den Korruptionsrekord. „Für die schlecht bezahlten Forstbeamten ist der Wald die einzige Geldquelle“, erklärt Magor.

Doch bereits droht den rumänischen Wäldern neuer Unbill. Kurz vor den Parlamentswahlen vom 9. Dezember haben mit der Holzwirtschaft verbundene Abgeordnete verschiedener Parteien im Parlament ein neues Forstgesetz eingebracht. Es sieht eine Verdreifachung der erlaubten Holzschlagmenge vor. Nach Protesten von Umweltverbänden hat Übergangspremier Viktor Ponta den Naturschützern seine Unterstützung versichert. Der Post-Kommunist Ponta dürfte die Wahlen haushoch gewinnen, doch Magor macht sich dennoch Sorgen. Damit steht er nicht allein. Schon seit Jahren gelten in Rumänien politische Versprechen wenig, die Abgeordneten wechseln Parteien wie ihre Hemden und stimmen wofür sie am meisten Geld kassieren können. Nach über 40 Jahren Kommunismus gilt ihnen der Staat als Selbstbedienungsladen, fast täglich warten die rumänischen Medien mit neuen Korruptionsskandalen auf. Dazu kommt, dass Ponta bei seinem Bestreben, den verhassten liberalen Staatspräsidenten Traian Basescu abzusetzen, gezeigt hat, dass ihm weder Gesetze noch Verfassung viel gelten. „Wenn Pontas Macht bei den Wahlen legitimiert wird, sehe ich schwarz für die Rechtssicherheit in Rumänien“, warnt Pontas liberaler Vorgänger Emil Boc in einem Gespräch mit der NZZ am Sonntag.


Boc sitzt heute wieder als Bürgermeister im Rathaus der Stadt Cluj (Klausenburg), in dessen Umland viele Wälder noch weitgehend intakt sind. Hundert Kilometer östlich, in Panet bei Tirgu Mures will der parteilose Bürgermeister weder auf den Wahlausgang noch die Politiker warten. „Wenn nötig, mobilisiere ich erneut das Dorf, um unsern Wald zu verteidigen“, droht Mihaly Bartha. Doch Dörfer mit einer intakten Sozialstruktur wie Panet werden in dem schwer von Wirtschaftskrise heimgesuchten Rumänien immer seltener. „Unser Grundproblem ist, dass es keine lokale Gemeinschaftsstruktur mehr gibt“, sagt Umweltaktivist Magor.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Auf acht Quadratmetern quer durch Europa

  Der kleinste polnische Wohnwagen Niewiadów N126 Polnische Touristen eroberten mit dem Winzling ab den siebziger Jahren Südost- und auch Westeuropa. Das machte den «N126» zum Kult. Die Produktionsfirma wurde Ende 2020 hundert Jahre alt. Von Paul Flückiger Als der Dorfpolizist die legendäre «Niewiadowka» auf das Grundstück fährt, dämmert es schon fast. «Sehen Sie her, sogar das Rücklicht habe ich repariert», sagt er stolz. Und in der Tat leuchtet es zwischen dem Landeskennzeichen «PL» und der Seriennummer «N126» unter der mit Klebeband reparierten Plexiglasscheibe schummrig orange. «Ich hoffe, Sie fahren damit nicht allzu weit», sagt der Mittvierziger. Auch eine Gasflasche sollte man zwischen der Aussenbox und dem Herd besser nicht mehr anzuschliessen versuchen, meint er. Der Polizist ist ausser Dienst und deshalb etwas gesprächiger als sonst. Das Baujahr des «N126» vermutet er irgendwo zwischen 1979 und 1982, genau weiss er es nicht. «Zu kommunistischer Zeit war das ein Prac

Tschernobyl - die groesste Atomkatastrophe und ihre Folgen

Tschernobyl - Leben am Rande der Todeszone In den frühen Morgenstunden des 26. April 1986 kam es im sowjetischen AKW Tschernobyl zur bisher grössten zivilen Atomkatastrophe. Bei einem Sicherheitsexperiment war es im Vierten Reaktorblock zur Explosion gekommen. Dabei gelangten hoch radioaktive langlebige Isotope wie Strontium-90 und Cäsium-137 in die Athmosphäre. Text und Fotos: Paul Flückiger Leben am Rande der Todeszone Die gerade herrschenden Nordwinde trugen diese vor allem nach Weissrussland , wo infolge der von der Moskauer Sowjetführung künstlich erzeugten Regenfälle zu 72 Prozent auf dem Gebiet der Weissrussischen SSR niedergingen. Derweil liessen die Sowjetbehörden die einfache Bevölkerung tagelang im Ungewissen über das Ausmass der Katastrophe. Von Tschernobyl selbst und der nahen Stadt Pripjat wurden die Arbeiter und ihre Familien am nächsten Tag zwangsweise evakuiert. Tschernobyl - Leben am Rande der Todeszone In der Folge wurden in einem Umkre

Joseph Bochenski: Für eine Kultur des rationalen Arguments

"Wer glaube, dass Gott die Welt geschaffen hat, braucht die Wissenschaft nicht zu fürchten. Ich bin ein ausgeprägter Rationalist, unter anderem deshalb, weil ich ein gläubiger Mensch bin - sagte Joseph Bochenski. - Die Wissenschaft ist voll von Widersprüchen, die aufzulösen sind – gemäss dem Sprichwort von Whitehead, dass „ein Widerspruch keine Katastrophe ist, sondern eine Gelegenheit. Nur Menschen schwachen Glaubens oder von kleinem Verstand fürchten sich vor der Wissenschaft. Der Glaube ist keine Verstandessache, man kann ihn nicht beweisen, aber wenn man bereit ist zu glauben, muss man seinen Verstand benutzen." Das Interview mit dem polnisch-schweizerischen Philosophen udn Dominikanern wurde 1992 gef ü hrt, doch bleiben Bochenskis Aussagen auch heute aktuell.  - Als Wissenschaftler und Geistlicher verbinden Sie in Ihrer Arbeit Glauben und Wissenschaft. Was für ein Verhältnis besteht zwischen beiden, anscheinend widersprüchlichen Bereichen des menschlichen Le